Amsteg (UR) – Wassen (UR)
Was habe ich Respekt vor der heutigen Etappe! Schon schlaflose Nächte hatte ich derentwegen! Zugleich ist es für dieses Jahr die letzte Etappe an der Reuss. Denn wegen dem Winter wird der Wanderweg ab Wassen Richtung Gotthard ab Anfang November bis Ende April jeweils gesperrt und die Brücken abmontiert.
Also ab Basel mit den SBB wieder direkt nach Erstfeld und umsteigen ins Postauto nach Amsteg! Auch heute ist der Nebel wieder allgegenwärtig, aber mit einer sonnenreichen Prognose für den weiteren Tag.
Ich quere den Chärstelenbach mit der imposanten Eisenbahnbrücke und komme am 1922 erbauten Wasserkraftwerk von Amsteg vorbei. Durch den Bau und den Betrieb der Neat wurde vielmehr Strom benötigt. So wurde das Kraftwerk in den 1990er Jahren vollständig erneuert und die Stromproduktion verdreifacht.


Jetzt gehts bergauf. Die heutige Etappe wird abwechslungsreicher, da ich bis Wassen 500 m hinauf wandern muss. Natürlich gehts zwischendurch wieder hinunter und die so verlorenen Höhenmeter müssen neu erklommen werden. Aber es macht Spass!
Ein Arbeiter reinigt die Wasserrinnen quer über die Strasse und immer wieder komme ich an steinernen Nischen vorbei. Eine ist beschriftet und nun weiss ich, dass hier überall vor Lawinen Schutz gefunden werden kann! Ja, ich bin in den Bergen!

Der Weg führt hoch oben durch Wiesen mit Blick auf die Gotthardstrasse. Ob der Picknick-Platz idyllisch ist, sei jedem selber überlassen. Mit etwas Phantasie treffe ich im Wald einen Elefanten!


Beim Weiler Ried steht eine kleine Kapelle, die Eligius Kapelle. Sie entstand ab 1898 und wurde 1924/25 renoviert. Sie ist sehr bescheiden gehalten und sieht doch sehr schmuck aus.


Die heutige Wanderung hat definitiv etwas mit Brücken zu tun. Stets liegen mir rechter Hand Eisenbahn- und Autobahnbrücken zu Füssen. Einige werden auch wieder auf den am Wegrand stehenden Tafeln erklärt: die Intschialpbrücke, die Intschitobelbrücke usw. Auf einer hübschen Aussichtsplattform wird das Panorama erklärt und die Geschichte der Gotthard Transitachse.




Ich komme an kleinen Orten vorbei und versuche mir vorzustellen, wie es ist, hier zu leben. Ein Türschmuck mit einem Spruchband gefällt mir besonders:

Ich überquere die A2, welche in den Teiftaltunnel führt und muss dann selbst durch einen Tunnel wandern. Da ich keine Lichter einschalten kann, gibts dafür einen Lichtschalter am Eingang des Tunnels. So guet!



Die Wanderung geht weiter und es wird vor Steinschlag gewarnt. Starke Netze versuchen, diesen aufzuhalten. Die sogenannten dynamischen Netze, weil sie nachfedern, sollen die Strassen und die Bahnlinie vor dem Steinschlag schützen und die Steine aufhalten. Ich traue der Sache nicht so recht. Die Natur lässt sich nicht einfach so bändigen!


Es geht hinauf in den Wald und ich komme an einer schönen Hütte mit Rastplatz vorbei und einem weiteren “idyllischen” Ort zum Verweilen mit Blick auf die Autobahn.


Und nun kommt, was kommen musste! Und ich ahne Schlimmes! Aber ans Umkehren ist jetzt auch nicht mehr zu denken! Augen bitte nicht zu, aber einfach durch! Es geht ca. 200 Meter ins Fellitobel hinunter, wieder an die Reuss. Der Weg bis anhin war heute mehrheitlich oberhalb, abseits des Flusses.
Vorsichtig nehme ich Schritt für Schritt die Stufen hinab! Heute bin ich noch niemandem begegnet und es werden wohl auch nicht viele unterwegs sein. Also Vorsicht! Da sehe ich schon mein grösstes Hindernis der Reusswanderung: eine Hängebrücke! Oh, mein Gott!



Jetzt fährt es mir in die Knie. Ich mit meiner Höhenangst. Und ganz alleine weit und breit. Und kein Umkehren möglich. Und überhaupt. Warum tue ich mir das an? Schlaflose Nächte hatte ich nach dem Lesen der Wanderbeschreibung. Aber diese Etappe auslassen, wollte ich dann schon auch nicht. Ach, es wird schon irgendwie gehen! Erst staune ich mal über die vielen anderen Brücken, welche ich erblicke!






Ich bin schon mal happy, dass ich den Fellibach so gut überqueren konnte und stehe nun aber eher ratlos auf der Plattform neben der Hängebrücke. Ich muss mir das doch nicht antun! Wie kann ich nur so blöd sein! Und niemand habe ich als Begleitung gefunden, um mir aufmunternd die Hand zu reichen! Los! Noch ein paar Stufen hinunter und dann: tief einatmen, ausatmen, nochmals einatmen und…

Nanu, es ist ja gar nicht so schlimm! Ich wage sogar, stehen zu bleiben und beidseitig ein Foto in die Tiefe zu machen, in die reissende Reuss, den türkisblauen Bergbach! Und drüben? Blick zurück! Ätsch, geschafft! Was bin ich stolz auf mich und klopfe mir auf die Schulter! Und was bin ich erst erleichtert! Und die Brücke wirkte recht stabil, hat nicht mal geschwankt!




Fassungslos vor Glück gehe ich weiter! Was man doch alles meistern kann! Am liebsten möchte ich singen, jauchzen! Es könnte ewig so weitergehen! Und geht es auch. Dem Ufer der Reuss entlang komme ich an einem Schopf vorbei, wo ich laut lachen muss ob dem Schild an der Tür! Und dann gehts hoch unter der A2 durch zur Strasse. Zum Glück nur ein kurzes Stück und dann wieder zurück zur Reuss.



Und da ist wieder eine Brücke. Aber die sieht harmlos aus. Sie liegt auf einem Felsen in der Mitte des Wassers und die Unterlagen sind Eisenbahnschwellen und Eisenplatten. Und, oh Schreck, diese Brücke schwankt beim Gehen gewaltig! Da bin ich wieder heilfroh, drüben zu sein!


Und schon bin ich in Gurtnellen. Eigentlich wollte ich heute bis hierher laufen. Aber es ist ja erst ein Uhr und das Wetter so toll und Wassen nur noch eine gute Stunde entfernt. Ich setze mich bei der Dorfstrasse gegenüber der Kirche auf eine Bank und esse mein Sandwich und das Rüebli. Wie eng das Tal hier ist! Und im Winter bekommt die eine Seite kaum Sonne! Und ich frage mich, ob die Leute hier auch so eng sind im Denken? Ob die Christophs, Uelis, Alberts und wie sie alle heissen, hier leichtes Spiel haben?




Es geht zum Teil steil aufwärts beim Weitergehen und über Wiesen und Bäche. Ich komme an Eidechsen vorbei, die sich an der Sonne wärmen, bei meckernden Ziegen und kauenden Kühen. Die Tiere geniessen nochmals die Wärme und den Sonnenschein draussen, bevor die Winterzeit kommt.




Beim Pfaffensprung wurde die Reuss für das Kraftwerk Wassen mit einer kleinen Staumauer zu einem See gestaut. Vorbei an der Staumauer verläuft der Weg links am Ufer des Sees weiter Richtung Wassen.


Ich gehe noch über zwei, drei Brücken und bestaune die Baukunst der Autobahnbrücken in diesem engen Tal. Und was sieht mein linkes Glasauge? Jaaaa, von weitem steht da das Kirchlein von Wassen im Dunst!

Langsam zieht schon wieder der Nebel durchs Tal. Aber ich komme noch bei Sonnenschein ins Dorf Wassen. Geschafft! Ich war vier Stunden am Wandern, erst bei kaltem Nebel, dann mit schlotternden Knien über Brücken und dann mit stahlblauem Himmel und leichtfüssig hinauf zum berühmten Kirchlein. Wie freue ich mich auf den Frühling, wo es dann hoffentlich munter weitergeht Richtung Gotthard!



